Kertell - Folge 10
Um 1800 stand es nicht gerade zum Besten um die aus dem Mittelalter überlieferte Tradition der Maskerade an Fastnacht, ging diese doch oft einher mit übertriebener Völlerei des arbeitsscheuen Volkes von Samstag bis Mittwoch. In der der nachnapoleonischen Phase der Restauration vermutete man hinter jeder Maske einen Revolutionär, der womöglich nationale Einheit oder gar die Grundrechte in Form von Versammlungsfreiheit oder Meinungsfreiheit einfordern könnte. „Masken müssen ruhig ihres Weges gehen und sich allen Lärmens und Schreiens enthalten – tumultoses Zusammenrotten von Maskierten ist strengstens verboten“, wie polizeilich am 12.01.1823 angeordnet wurde.
Inspiriert von den Entwicklungen und ersten Carnevals-Vereinsgründungen in Köln, Düsseldorf und Bonn wollte man auch in Mainz die mittelalterliche Tradition unter modernen, bürgerlichen Vorzeichen neu beleben und in geordnete Bahnen lenken; der Fastnacht ein edleres Gepräge geben. Die Städte am Niederrhein haben vorgemacht, dass sich mit dem Carneval durchaus Geld verdienen ließ und so gründete der wirtschaftlich denkende Kaufmann Johann Maria Kertell mit Gleichgesinnten am 11.01.1837 das Ranzenbataillon. Galt es doch dem „Fürsten Carneval eine würdige Garde zu bereiten“. Die Aufnahmekriterien sind bis heute uneingeschränkt gültig: Ein Mindestgewicht von zwei Zentnern und ein Leibesumfang von 6 Fuß (rd. 172 cm).
Die vielen kleinen Umzüge der Stammtische und Handwerkszünfte vereinten sich am 26. Februar 1837, zum ersten Fastnachtszug, der als „Krähwinkler Landsturm“ die lange Tradition der närrischen Umzüge begründete. Im Mittelpunkt des Zuges, der lokale Ereignisse persiflierte und erste zeitkritische Ansätze hatte, stand Prinz Bibi samt seiner mit Holzgewehren und Holzsäbeln bewaffneten Leibgarde, dem Ranzenbataillion.
Bekannt ist Kertells kritische Haltung zu den Militärausgaben im kleinen Großherzogtum Hessen-Darmstadt, die er als zu hoch und die Armee für zu ineffizient hielt. Die Fastnachtsgarde als Persiflage auf das Militär passte also wie die sprichwörtliche „Faust aufs Auge“.
Bild aus: Langenschwarz, Maximilian Leopold: Mainzer Fastnachtschronik, Mainz 1838, Tafel 2. [© dilibri Rheinland-Pfalz: urn:nbn:de:0128-3-334]