Kertell - Folge 7
Es war nur eine Frage der Zeit, bis Johann Maria Kertell auch politische Verantwortung übernehmen sollte. Bereits 1814/15 hat er wiederholt als Vertreter der Stadt an den Verhandlungen mit den Franzosen teilgenommen. Ab 1820 gehörte Kertell insgesamt acht Wahlperioden bis zu seinem Tode 1839 sowohl dem Mainzer Stadtrat als auch der Zweiten Kammer der hessischen Landstände in Darmstadt an. Sein politischer Schwerpunkt bildete anfangs die künftige Verfassung des Großherzogtums, galt es doch möglichst viele Errungenschaften aus französischer Zeit in Verwaltungs- und Justizsystem in die neue Ordnung zu überführen. Als liberaler Mann aus der Wirtschaft standen für ihn der Abbau von Handelshemmnissen wie Zollschranken im Vordergrund. Als gläubiger Katholik sprach er sich für die Beteiligung der Kirche an der Schulaufsicht aus. Auch galt es für die Domsanierung Steuergelder aus der Darmstädter Schatulle zu beschaffen.
Auch wenn der Frankfurter Hof zu Kertells` Zeiten weder Versammlungsort des Mainzer Gemeinderates noch der hessischen Landstände war, so gilt er doch nach seinem Umbau 1841 zum damals größten Veranstaltungsraum der Stadt als Forum für jedwede politische Coleur: Liberale, Sozialisten, Zentrum. Sie alle tagten hier mit reichsweit bekannter Politprominenz von Bamberger über Lassalle bis Bischof Ketteler und sorgten für den liebevollen Spitznamen „Mainzer Paulskirche“. In der fünften Jahreszeit regierten seitdem die Narren im mehrfach umgebauten Gemäuer. Die für Mainz typische literarisch-politische Fassenacht nahm von hier aus ihren Anfang. 1844 kam der Narhalla-Marsch zur Uraufführung.
Alljährlich am Donnerstag vor dem Fastnachtswochenende steigt in dem ehrwürdigen Bau der Ranzengardeball, der schönste Altweiberball in der Stadt.
Frankfurter Hof in der Augustinerstraße, ab 1841 wichtigster Veranstaltungssaal der Stadt, liebevoll auch „Mainzer Paulskirche“ genannt.